An(ge)dacht
Liebe Leserinnen und Leser,
"Da haben die Dornen Rosen getragen ..." Das fällt mir - Weihnachten noch im Ohr - als erstes zum Titelbild ein. Zu sehen ist ein Christusdorn. Das kräftige Rot der Blüten drängt sich in den Vordergrund; die spitzen Dornen stechen hinein, wenngleich unscharf aus dem Hintergrund.
Büten und Dornen - nicht nur am Christusdorn gehören sie zusammen. Für unser Leben gilt das in gleicher Weise. Es gibt Dinge, die leuchten hervor, und anderes, was schmerzt und sogar Narben zurücklässt. Wir bahnen uns den Lebensweg zeitweilen durch Dornengestrüpp hindurch, in anderen Lebensabschnitten ist der Weg breit und von blühenden Bäumen gesäumt.
Mal tritt das eine, mal das andere in den Vordergrund und in unsere Wahrnehmung. Darüber hinaus gilt: Wie intensiv ich die Dinge in meinem Leben wahrnehmen, und wie ich sie bewerte, hat viel mit meinen bisherigen Erfahrungen zu tun.
Beim Blick auf den Christusdorn kann ich mich selbst befragen: Geht mir das Herz vor Freude auf, wenn ich die rotleuchtenden Blüten sehe oder fokussiere ich mich auf die Dornen und erstarre vor Schreck. Ich habe immer noch die Wahl.
Bei dieser Wahl kann mich die Jahreslosung unterstützen: "Prüft alles und behaltet das Gute." (1. Thessalonicher 5,21). Schau auf Dein Leben. Was macht Dir Freude, wovon willst Du mehr spüren, was intensiver erleben? Was hingegen belastet Dich, womit schadest Du Dir und Anderen? - Was sind die Blüten und was die Dornen?
Ich für mich möchte mir mehr Zeit für dieses Betrachten nehmen. Für mich soll gelten: Mehr Tiefe als Füle. Längeres Verweilen statt des Versuches, möglichst viel in kurzer Zeit. Das Titelbild lädt dazu ein. Darüber hinaus ist nicht die ganze Pflanze gezeigt, sondern nur einen Teil des Christusdorns. Aber in diesem Teil ist alles enthalten, was die Schönheit der Pflanze ausmacht.
Die Dornen und die Blüten - in beidem lässt sich die Schönheit wahrnehmen. Im Schmerzvollen und dem Geglücktem in meinem Leben kann ich Segen erleben, hinter und in allem lässt sich Gott finden – in der Tiefe meines Innehaltens mehr als an der Oberfläche meines Alltagskleinkleins.
Püfe immer wieder, halte inne, damit Du der Schönheiten in Deinem Leben gewahr wirst. Auf dass Du das Gute behältst und Du Dich von Gott reich beschenkt erleben kannst.
Mit allen guten Wünschen für ein segensreiches Jahr,
Pfarrer Martin Kabitzsch
Ein Döner mit Folgen, oder ein besonderes Beispiel von Nächstenliebe
Am Sonntag nach Weihnachten (und demnach vor Silvester) hatte ich mal keinen Orgeldienst. Das fand meine Frau sehr merkwürdig, sieht sie mich doch an den Sonntagen zwischen Frühstück und Mittagessen kaum zu Hause, da ich bei „Kirchens“ bin. Um den vormittäglichen Ablauf meiner Frau nicht zu stören, schnappte ich mein Fahrrad und begab mich auf eine Tour zur Halbinsel nach Pouch. Das Wetter passte und gut gelaunt trat ich in die Pedalen. Auf dem Rückweg fasste ich den Plan, meine Frau mit einem Döner zu überraschen. Gesagt, getan. Der Dönerladen in Pouch hatte gerade geöffnet und ich bestellte das Gewünschte. Bezahlen wollte ich „mit Karte“. Das kündigte ich dem Verkäufer auch an, der aber diese Bezahlmethode nicht akzeptierte. Bargeld hatte ich nicht dabei. Kein Problem für den Verkäufer. Ich könne auch am nächsten Tag bezahlen, teilte er mit sehr freundlich mit. So ein Vertrauensvorschuss war für mich sehr überraschend, zumal ich in diesem Dönerladen höchst selten einkaufe. Dankend nahm ich das Angebot an. Das Fleisch musste noch gar werden, der Dönerspieß drehte Runde um Runde. Ich musste also warten. Es kam ein weiterer Kunde, und bestellte ebenfalls Döner zum Mitnehmen. Mit diesem freundlichen Menschen kam ich ins Gespräch. Es war ein Mann aus Mühlbeck, der mit seiner Familie seit zwei Jahren dort lebt. Die Mühlbecker Kirche, auf die ich ihn aufmerksam machte, kannte er bis dato nur von außen. Am Weihnachtsabend wollte er mit seiner Familie eigentlich hingehen, zumal er auch gern Orgelklängen lauscht, ließ aber von seinem Vorhaben wieder ab. Wir unterhielten uns weiter über Kirchen und Orgeln und ich lenkte sein Interesse auch auf die Engelkirche von Friedersdorf.
Zwischenzeitlich war mein Döner fertig und verpackt, der Verkäufer fragte nach dem Geld - ich hatte ja keins dabei - aber mein Gesprächspartner zückte eine Schein und gab ihn mir mit der Aufforderung, mein Essen damit zu bezahlen. Der Verkäufer erneuerte sein Angebot, das Geld von mir erst am nächsten Tag zu erhalten, er hätte Vertrauen zu mir. „Nur Bares ist Wahres“, an diesen Spruch musste ich denken, als ich doch den Geldschein meines Gesprächspartners annahm und an den Verkäufer weiterreichte. Wie gebe ich nun das geliehene Geld zurück? Mein Gegenüber betrachtete es als Geschenk an mich, ich wollte das nicht annehmen. Was tun? Ausgehend von seinem Interesse für Orgelmusik lud ich den hilfsbereiten Menschen nach Friedersdorf in die Engelkirche zum musikalischen Jahresausklang ein.
Zwei Tage später war es dann soweit. Ich hatte vorsorglich das geliehene Geld bereitgelegt und begrüßte die Gottesdienstbesucher. Würde der freundliche Mensch kommen?
Und tatsächlich, während des Glockengeläutes vor Beginn kam mein „Retter“ mit seiner Familie. Auf das Gesangbuch, das ich ihm gab, legte ich den geliehenen Geldschein. Den wollte er auch diesmal nicht zurückhaben. „Leg den Schein in die Kollektenschale“, so seine Aufforderung an mich. Das tat er aber doch selbst, nachdem ich ihm das Geld in seine Hand gedrückt hatte.
Wer ist dieser freundliche und hilfsbereite Mensch, das fragte ich mich auf dem Weg zur Orgelempore? Auf jeden Fall ist es jemand, der seinem Nächsten hilft.
Eckhard Baum